Thai-Seide

vom Schmetterling zum hochwertigen Seidenstoff



Tradition der Seidenstoff-Herstellung

 

Die Herstellung thailändischer Seide ist ein komplizierter und zeitaufwändiger Prozeß. Dank der in Thailand günstigen klimatischen Bedingungen kann die Seidenproduktion aber zu jeder Jahreszeit stattfinden. Im Anschluß an die Reisernte widmen sich die Dorfbewohner Zentral- und Nordostthailands der Seidenherstellung. Schon junge Mädchen lernen das Webhandwerk von ihren Müttern. Ihre exquisiten Kreationen sorgen für ein Zusatzeinkommen oder sie werden bei Familienfeiern getragen oder bei Festivitäten, um die Aufmerksamkeit junger Männer auf sich zu lenken.

Die Seidenherstellung ist vorwiegend ein Handwerk, das zuhause ausgeübt wird. Viele Dorfbewohner sind daran beteiligt. Manche bauen Maulbeerbäume als Futterpflanzen der Schmetterlingsraupen an, andere sind bei der Herstellung der Kokons beteiligt oder weben die Stoffe, wiederum andere färben das Seidengarn.



Biologie des Seidenspinners



Der Ursprung des glänzenden exquisiten Seidenstoffes sind nämlich Raupen, die zur Insektenordnung der Lepidoptera gehören. Dazu gehören alle Tag- und Nachtfalter. Zwei verschiedene Falterarten werden in der Seidenproduktion eingesetzt, die Zuchtraupe Bombycidae und die Raupe aus der Falter-Familie der Saturniidae.

Vorwiegend wird die Art Bombyx mori aus der Familie Bombycidae = Echte Spinner eingesetzt. Diese Seidenraupen werden zuhause gezüchtet, aber nur dort wo es genügend Blätter des Maulbeerbaumes gibt, um ihren riesigen Appetit zu stillen. Dagegen begnügen sich die wilden Seidenraupen, von denen es mehr als 500 Typen gibt, mit Blättern anderer Baumarten. Robuster als die domestizierte Seidenraupe produzieren die Arten der Familie Saturniidae eine rauhere Seide, deren Faden kürzer ist und dessen Farbe von weiß bis gelb variiert.

Abb 1: Die Autorin inmitten einer Maulbeerbaumplantage in einem Dorf der Provinz Surin

In Thailand herrschen zwei Untertypen der Art Bombyx mori vor. Die Seidenraupe „Bivoltine“ produziert einen feinen weißen Faden, während die „Polyvoltine“ einen unregelmäßigeren gelben Faden produziert, der sich gut für die Verarbeitung auf Handwebstühlen eignet. Die „Bivoltine“ Seidenraupe ermöglicht dem Menschen zwei Ernten pro Jahr, die „Polyvoltine“ eine größere Anzahl Ernten.

Die Seidenraupe durchlebt vier Entwicklungs-Stadien: 1.) vom Ei 2.) zur Larve, 3.) zur Puppe bis 4.) zum erwachsenen Nachtfalter.



Raupenzucht



Normalerweise kann man von einer Kiste, in der bis zu 20.000 Eier aufbewahrt werden, bis zu 15.000 Kokons erwarten. Um bei der Aufzucht größere Verluste zu vermeiden, werden die Kokons auf verschiedene Korbschalen aufgeteilt und genau auf den bevorstehenden Schlupf der Falter aus der Puppe im Kokon überwacht.

Abb 2: Die Autorin beim Verlesen, Aussortieren und Begutachten der Kokons der Seidenraupen

Die Gewissenhaftigkeit bei der Aufzucht bestimmt die Qualität und Quantität der Seide. Die Seidenraupen sind empfindliche Kreaturen, die der dauernden Pflege bedürfen. Die Züchter der Seidenraupen müssen nicht nur auf die richtige Nahrung, sondern auch auf Sauberkeit in den Schalen achten. Seidenraupen reagieren sehr empfindlich auf Gerüche und andere Umweltfaktoren und sogar auf Lärm.

Ausgewachsene Pflanzen pflanzen sich über mehrere Stunden fort. Der weibliche Falter legt zwischen 300 und 500 stecknadelgroße Eier. Drei Tage nach der Eiablage stirbt der weibliche Falter. Während ihrer Etwicklungsphase benötigen die Eier zunächst kühlere Temperaturen, später während der Brutphase höhere Temperaturen. In Thailand benötigen die Eier bei einer Temperatur von 24 °C bis 28 °C ungefähr 21 Tage bis zum Schlüpfen der Larven.

Die Larven haben bereits nach dem Schlupf aus dem Ei einen großen Appetit. Nach dem Schlüpfen sind die Larven sehr empfindlich, da die Larven leicht anderen Insekten und anderen Tieren oder Krankheiten zum Opfer fallen. Sie benötigen zunächst 3 mal pro Tag die Gabe von sauberen, zarten, frisch gepflückten und zermahlenen Maulbeerblättern. Die Zubereitung der Maulbeerblätter ist sehr zeitaufwändig. Die Seidenraupen fressen etwa 28 Tage und erhöhen dabei ihr Körpergewicht um das 10.000-fache. Sie wachsen bis zu einer Größe von ungefähr 8 cm heran und häuten sich dabei 4 mal, weil ihr Aussenskelett aus Chitin nicht mitwachsen könnte. Sie durchläuft dabei also 5 Raupenstadien unterschiedlicher Größe. Am Ende der letzten Wachstumsphase vertilgt die Raupe 400-mal mehr als direkt nach dem Schlüpfen. Am Ende dieser Phase erhebt sie ihren Kopf und zeigt damit an, daß sie bereit zur Verpuppung ist.

Abb 3: Seidenraupen aus der Aufzucht im 4./5. Larvenstadium

Bevor die eigentliche Verpuppung beginnt, sondert die Raupe aus zwei am Kopf befindlichen Drüsen ein gelbliches Sekret ab. Aus diesem Sekret entsteht ein Netz, das zur Verankerung des Kokons dient. Einmal verankert, beginnt die Raupe mit der Abscheidung flüssiger Seide aus den beiden Drüsen. Beim Kontakt mit der Luft verhärtet sich die flüssige Seide und wird zu einem Faden. Der Kokon entsteht dadurch, daß sich die Seidenraupe um sich selbst dreht. Dieser Vorgang dauert 2 bis 3 Tage.

Abb 4: Seidenraupen-Kokons kurz vor ihrer Weiterverarbeitung zum Seidengarn



Vom Kokon zum Seidengarn



Während der Verpuppung entsteht ein Faden von 550 bis 750 Metern Länge je nach Art und Zuchtrasse Die Puppe bleibt ungefähr 23 Tage im Kokon. Um 100 Gramm Seide zu produzieren, benötigt man mehr als 1000 Kokons ! Mehr als 500 Kokons werden z.B. für die Herstellung einer Krawatte benötigt, ungefähr 4000 z.B. für eine Bluse und 8000 z.B. für ein Abendkleid.

Abb 5: Kochen der Puppen-Kokons zum Abtöten der Puppen vor dem Aufspulprozeß zum Garn

Wenn die Verpuppung beendet ist, werden die Kokons in Wasser gekocht. Dabei stirbt die Puppe ab. Man will verhindern, daß sich die Puppe in einen Falter verwandelte und beim Verlassen des Kokons den Faden zerstörte. In Thailand geschieht das Abwickeln des Fadens vom Kokon per Hand. Ungefähr 20 Kokons werden gleichzeitig abgewickelt und zusammen auf einem Rad aufgespult. Endet der Faden eines Kokons, wird der Faden eines neuen Kokons mit ihm verbunden.

Abb 6: Die Autorin beim Aufhaspeln des Seidengarns an einer traditionellen Handhaspel



Seidensorten und -qualitäten



Drei Sorten Seide kann man beim Aufspulprozess erhalten :

Nach Entfernung des Fadens vom Aufspulrad werden die Strähnen der Rohseide in heißes Wasser getaucht, um Reste von Drüsensekret zu beseitigen. Vor dem Färben muß die Seide in Wasserstoffperoxyd oder einer Kalklösung gebleicht und anschließend gründlich in der Sonne gereinigt und getrocknet werden.



Seidengarnfärbung



Heutzutage werden meist wasserfeste chemische Farbstoffe verwendet. In manchen Dörfern werden jedoch weiterhin Farbstoffe pflanzlichen oder tierischen Ursprungs eingesetzt. Die Blätter der Indigopflanze (Indigofera tinctoria, Thai: Krarm) erzeugen einen blauen Farbstoff, das Lac-Insekt (Kerri lacca = Lackschildlaus) und sein Nest sind die Grundlage eines roten Farbstoffes. Einen rosa Farbstoff erhält man von der Betel-Nuss (Areca catechu). Die Kha-Pflanze (Curcuma longa = Kurkuma) und der Kern des Jackfruit-Baumes (Artocarpus heterophyllus) erzeugen einen gelben Farbstoff und die Beeren des Ebenholzbaumes (Diospyros) einen braunen oder schwarzen Farbstoff. Einen grünen Farbstoff erhält man von den Wurzeln der Talaeng-Pflanze und den Blättern des Kattappenbaums (Terminalia catappa, Thai: Bai hu kwang), von Walnussschalen oder den Blättern des Ananasbaumes (Ananas camosus). Der Ausgangsstoff wird meist in einem Mörser zerstoßen und dann gekocht, um den Farbstoff zu extrahieren.

Natürliche Farbstoffe erzeugen dezentere Farben als chemische Farbstoffe. Die Bestandteile eines Farbstoffes oder einer Farbstoffmischung variieren abhängig vom Herstellungsgebiet und sind oft gutgehütete Geheimnisse, die von Generation zu Generation weitergegeben werden.

Das eigentliche Färben geschieht durch Eintauchen der Seidensträhnen in den Farbstoff, wo die Seide eine Weile verbleibt und sich mit dem Farbstoff vollsaugt. Ein chemisches oder natürliches Fixiermittel aus Pflanzenextrakten führt zu einem schönen und dauerhaften Ergebnis.



Stoffweberei



Sogar in modernen Herstellungsbetrieben werden die Seidenstoffe handgewoben, um eine Beschädigung des empfindlichen Fadens zu vermeiden. Es ist dieses Merkmal, das die Seide von den meisten anderen Stoffen abhebt. In Zukunft -mit zunehmender Qualität des Fadens- wird jedoch die Bedeutung von automatisierten Webstühlen zunehmen. Die zunehmende Nachfrage nach thailändischer Seide führt allmählich zur Umwandlung von einem Handwerk zu einer fabrikähnlichen Produktion. Oft wird dann importiertes Seidengarn aus China oder Japan zusammen mit einheimischer Seide verwendet.

Abb 7: traditionelle Handwebtechnik an einem Handwebstuhl

In Thailand werden verschiedene Arten von Webstühlen eingesetzt. Sie werden meist aus Holz oder Bambus hergestellt. Der verbreitetste ist vom Typ "fliegendes Schiffchen", zugleich weil er einfach zu bedienen ist und der Webprozess schneller vonstatten geht.

Abb 8: Herstellung des Seidenstoffs aus Seidengarn an Handwebstuhl

Sobald das Warp (eine Art Schiffchen mit Garnfaden) vorbereitet ist, wird das Garn durch einen sog. Schaft (eine Art Öse) gezogen um die Bewegung des Garns während des Webprozesses zu kontrollieren. Jedes Heddle ist an einem rechteckigen Rahmen befestigt, welcher als Geschirr bezeichnet wird. Unterschiedliche Kettfäden werden mit Hilfe eines Pedals und des Geschirrs angehoben und wieder abgesenkt. So kann das Schußfaden abwechselnd unter und dann wieder über einen anderen Kettfaden durchgefädelt werden. Die Weberin zieht am Schiffchen-Faden, um das Schiffchen vorwärts and rückwärts über den Kettfaden zu ziehen und das Garn einzufädeln.

Abb 9: Handwebstuhl mit den Elementen Kettfäden, Schiffchen, Rahmen, Mudmee-Seidenstoff

Ein einfacher Stoff ohne Muster benötigt zwei Schäfte. Jeder Schußfaden geht über die ganze Länge des Stoffes abwechselnd über und dann unter dem Kettfaden durch. Komplizierte Stoffmuster benötigen eine große Anzahl von Schäften (Jacquardwebstuhl). Um die bei religiösen oder weltlichen Zeremonien populären Muster zu erzeugen, werden auch Gold- und Silberbrokatgarne verwendet. Wenn ein neues Design geplant wird, muss ein Muster gezeichnet werden, um den Webstuhl einzurichten und den Schaft zu bestimmen, durch den ein bestimmter Schußfaden gezogen werden soll.

Bei der Herstellung von Seide -speziell bei der Produktion von Mudmee- kommt man durch den Einsatz von verschiedenen Garnen und Farbstoffen zu hunderten verschiedener Muster. Bei Mudmee-Seide wird der Kettfaden vor dem Weben bereits an bestimmten, genau vorberechneten Stellen, unterschiedlich eingefärbt. Dadurch entstehen beim Weben meist regelmäßige Muster. Viele Muster sind weit verbreitet, manche dagegen sind spezifisch für ein bestimmtes Dorf. Das Weben von Mudmee Seide erfordert viel Erfahrung. Eine erfahrenere Weberin schafft bis zu 2 Meter gemusterten Stoff pro Tag.

 

Abb 10: Dekorative Kissenbezüge aus thailändischer Seide

 

Abb 11: Sofa- und Kissenbezüge aus thailändischer Seide




Literatur :

Jennifer Sharples (1994), Thai Silk 1st Edition 1994, Post Books, Klong Toey, Bangkok

https://de.wikipedia.org/wiki/Seide

https://de.wikipedia.org/wiki/Seidenspinner



Danksagung: Herrn Dipl.Biologen Andreas Becker gilt mein Dank für viele wertvolle Anmerkungen